Eine Nacht zwischen Disziplin und Leistung
Es gibt Shows, die man besucht. Und es gibt Shows, an die man sich erinnert, weil sie einen inneren Schalter umlegen. Die Volljährigkeits-Show von NACHTMAHR im Kulttempel Oberhausen gehört eindeutig zur zweiten Kategorie.
Oberhausen vibrierte. Nicht dieses nette Grundrauschen, sondern die Art von Schwingung, die man im Brustkorb spürt. NACHTMAHR luden zur Volljährigkeit – 18 Jahre Exzess – und der Kulttempel wurde zum Schauplatz einer Machtdemonstration, die den Saal in einen straff choreografierten Ausnahmezustand versetzte.
Schon vor dem offiziellen Einlass markierte das Fantreffen die Richtung: Nähe zum Commander, aber mit klaren Protokollen. Wer sich anmeldete, war früh drin – und wurde sofort in den Bann dieser österreichischen Kontrollästhetik gezogen. Der Rest strömte ab 20:00 hinein.
PHOSGORE – Auftakt mit industrieller Abrissbirne
Phosgore eröffneten den Abend mit der Genauigkeit, die man von ihnen erwartet, und der Härte, die man von ihnen kennt. Kein unnötiger Ballast, keine Effekthascherei – ein kompromissloser, taktgenauer Einstieg in die Nacht. Die Basslines pulsierten direkt in den Bauchraum, die Rhythmen wirkten wie unter Druck gesetzt, zielgerichtet, klar strukturiert. Die ersten Reihen waren sofort in Bewegung; nicht wild, sondern kontrolliert – wie ein Getriebe, das gerade anläuft. Ein Auftakt, der nicht nur funktionierte, sondern das Fundament für den Abend legte.
REAPER – Eine Rückkehr, die einschlägt
REAPER war für viele im Publikum ein Name aus früheren Clubzeiten – präsent, aber lange ruhig. Genau deshalb wirkte dieses Set so stark: Vasi brachte das Projekt mit einer Wucht zurück, die man in dieser Form nicht erwartet hatte.
Schon mit den ersten Takten war klar: Das hier ist kein nostalgisches Wiederaufwärmen, sondern ein vollwertiges, modern klingendes Comeback. Der Sound war kristallklar, druckvoll und präzise austariert. Die typischen REAPER-Melodien griffen sofort, ohne sich in Retro-Stimmung zu verlieren.
Besonders eindrücklich war die Reaktion des Publikums. Viele kannten REAPER nur flüchtig, doch die Live-Präsenz holte alle innerhalb weniger Sekunden ab. Die Bewegung im Raum nahm spürbar zu, die Energie stieg mit jedem Track, und man sah sofort: Hier formiert sich etwas, das live wieder Bedeutung hat.
Reaper setzten da an, wo Phosgore aufgehört hatten, und führten die Atmosphäre in eine neue Richtung: breiter, melodischer, energetischer. Sie schoben die Stimmung von „bereit" zu „aufgeladen" – genau der Impuls, den ein Support vor NACHTMAHR setzen muss.
NACHTMAHR – Wenn eine Band zu einem Symbol wird
Als schließlich NACHTMAHR die Bühne betraten, kippte die Stimmung in einen Zustand, der schwer greifbar, aber klar fühlbar war: Eine Mischung aus Erwartung, Respekt und einem gewissen Pathos, den man nur dann spürt, wenn eine Band über Jahre hinweg nicht nur Musik, sondern Identität geschaffen hat.
Schon die ersten Sekunden machten deutlich, dass dies mehr war als ein Tour-Set. Eine große Beamer-Leinwand dominierte den Raum, auf der das überlebensgroße Konterfei des Supreme Commanders auf die Wand des Kulttempels projiziert wurde. Ein starker, fast sakraler Moment – und in einem Venue, das ohnehin mit religiösen Symbolen und Malereien spielt, wirkte es tatsächlich wie die Kirche von NACHTMAHR.
Die Uniformität, die Strenge, die klaren Linien – all das trug dazu bei, dass NACHTMAHR erneut das schafften, was sie live so außergewöhnlich macht: Sie verwandeln die Bühne in ein Ritualfeld.
Die Volljährigkeit war nicht nur ein Anlass, sondern auch ein Versprechen. Die Setlist zog einen Bogen von frühen Klassikern bis zu aktuellem Material, und dieser Bogen war spürbar: Kantig, direkt, ikonisch. Songs, die seit Jahren fester Bestandteil der Szene sind und auch 2025 kein Stück an Wirkung verloren haben. Moderner, präziser, mit einer klaren Weiterentwicklung der Klangsprache. Die neuen Tracks standen nicht im Schatten der Klassiker – sie standen neben ihnen, selbstbewusst, druckvoll, stimmig:
- Wir schreiben Geschichte
- Tanzdiktator
- Weil Ichs kann
- Deux Ex Machina
- Unsterblich
- Ein Spiel
- Karusell
- Mädchen in Uniform
- Nicht wie sie
- Der Schlaf
- Rise and fall
- Die Fahnen unserer Väter
- Liebe Lust und Leid
- Sirenen
- Keine Lieder
- Firmament
- Mörder
- Can you feel the beat
- Katharsis
- Schwarzflug
- Helden
Thomas Rainer agierte wie jemand, der seit 18 Jahren weiß, was er tut – und es immer noch mit voller Überzeugung tut. Keine unnötige Härte, keine Überdramatisierung. Seine Präsenz lebt von Klarheit: Befehlston ohne Arroganz, Haltung ohne Attitüde, Intensität ohne Künstlichkeit. Das Publikum reagierte darauf nicht mit blindem Jubel, sondern mit aufmerksamem Folgen. Es war dieses stille, respektvolle Verständnis zwischen Bühne und Saal, das NACHTMAHR seit Jahren auszeichnet.
NACHTMAHR-Konzerte sind keine Einbahnstraße. Das Publikum ist immer aktiver Teil der Darbietung: militärisch inspirierte Outfits ohne Kostümcharakter, dunkle Silhouetten, Bewegungen, die den Rhythmus verstärken. So wurde auch der Kulttempel an diesem Abend zu einem Raum, in dem sich Band und Crowd gegenseitig aufladen.
NACHTMAHR im Kulttempel war keine Jubiläumsshow nach dem Muster „Wir feiern uns selbst". Es war eine Demonstration:
18 Jahre Entwicklung
18 Jahre Konsequenz
18 Jahre Relevanz
Eine Band, die ihr eigenes Vokabular geschaffen hat – musikalisch wie ästhetisch – und die sich an diesem Abend nicht wiederholte, sondern neu behauptete. Allen Widrigkeiten, Angriffen, Brandanschlägen und dem sonstigen Gegenwind in der Szene zum Trotz.
Der Kulttempel wurde für ein paar Stunden zu einem Ort, an dem sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einer Szene begegneten. Die Volljährigkeit von NACHTMAHR war kein nostalgisches Zurückblicken – es war eine Standortbestimmung: 18 Jahre Szene-Dominanz. 18 Jahre Tanzbefehl. 18 Jahre kontrollierte Ausschweifung. Das Imperium ist volljährig.
Ein Konzert, das bleibt, weil es etwas erzählt - und weil es etwas bedeutet.
Nicht nur, aber auch, weil es NACHTMAHR war.
Fantreffen West
Zu Beginn des Abends hatten rund 100 glückliche Fans die Gelegenheit, an einem exklusiven Fantreffen teilzunehmen. Dabei konnten die Besucher Thomas Rainer und die Bandmitglieder persönlich treffen, Fotos machen und Autogramme ergattern – ein besonderes Erlebnis für alle Beteiligten.